Quests als Gestaltungsmittel zur Motivation und Struktur außerhäuslicher Aktivitäten für Senioren
Zusammenfassung
Im Rahmen des Verbundprojektes UrbanLife+ verfolgen wir einen Gamification-Ansatz, nach dem das spielerische Gestaltungsmittel der Quest als Grundlage dafür verwendet wird, Senioren zur Teilhabe an ihrem urbanen Umfeld zu motivieren, indem ihnen konkrete Vorschläge für Aktivitäten gemacht werden, welche mit einem Belohnungssystem verbunden sind. Das Gesamtsystem befindet sich derzeit noch in der Entwurfsphase. Eine Analyse der Anforderungen der Zielgruppe einschließlich einer umfassenden Befragung ist im Rahmen des Gesamtprojekts erfolgt. Dieser Beitrag beschreibt den aktuellen Planungsstand des Gamification-Systems sowie die dafür unmittelbar relevanten sonstigen Projektergebnisse und diskutiert die Herangehensweise.
CCS Concepts
• Human-centered computing → Human computer interaction (HCI); Accessibility; • Social and professional topics → Seniors.
Keywords
Gamification, Wegfindung, Aktivitätsunterstützung, Senioren
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MuC’19 Workshops, Hamburg, Deutschland
© 2019 Copyright held by the owner/author(s).
https://doi.org/10.18420/muc2019-ws-5911. Motivation
Mit zunehmendem Lebensalter geht oft eine verringerte Mobilität einher. Schwindende Muskelkraft und Ausdauer, schlechtere Seh- oder Hörfähigkeit sowie geringere Verlässlichkeit des Gedächtnisses sind nur einige mögliche Gründe, die Senioren davon abhalten können, ihre Teilhabe an ihrem städtischen Umfeld unverändert aufrecht zu halten. Objektive und subjektive Barrieren tragen zur Verkleinerung des Lebensradius bei, so dass viele ältere Menschen ihre Wohnungen kaum noch verlassen [2].
Den möglichst langen Erhalt der selbständigen Lebensführung, die Förderung von außerhäuslicher Bewegung auch im Seniorenalter sowie die Stärkung von Möglichkeiten für positive soziale Strukturen zwischen Anwohnern im städtischen Umfeld betrachten wir als offensichtlich erstrebenswerte Ziele im Sinne der Menschenwürde. Entsprechend schlagen sie sich auch im Gesamtprojekt UrbanLife+ nieder.
In diesem Beitrag beschreiben wir unsere Planung für ein System, welches basierend auf Gamification-Prinzipien dazu beitragen soll, dass Senioren über Angebote aller Art in ihrem städtischen Umfeld informiert werden, mit Hilfe von externen Anreizen zur Wahrnehmung dieser Angebote motiviert werden, und bei der sicheren Durchführung der Aktivität so weit wie möglich unterstützt werden. Das hier beschriebene Vorhaben basiert auf weiteren Projektergebnissen von UrbanLife+, worunter nicht nur die Anforderungsanalyse fällt, sondern auch die Pläne für Tests mit vernetzten smarten urbanen Objekten [3], insbesondere Informationsstrahlern [15], sowie Assistenzsystemen zur seniorengerechten Navigation (noch nicht veröffentlicht).
2. Verwandte Arbeiten
Es gibt bereits eine Reihe von Versuchen, Personen (nicht speziell Senioren) durch digitale Systeme zur Erkundung ihres Umfelds zu animieren. Zenker & Ludwig [28] verbinden die Aufgabe der Navigation zu Fuß und im öffentlichen Nahverkehr mit Empfehlungen für interessante Aktivitäten. Shepard [24] demonstriert mit Serendipitor eine Mobil-App, die Nutzer im urbanen Raum zum Schlendern verleiten soll. Traunmueller & Fatah [27] verbinden Crowdsourcing-Funktionen aus sozialen Netzwerken mit realen Orten, um Fußwege durch die Stadt spannender zu machen und zum Explorieren anzuregen, und prägen dafür den Begriff des „Space Recommender System“. Für den weiter gefassten Bereich der Systeme zur Navigationsunterstützung für Fußgänger gibt es unzählige Forschungsansätze [10, 12, 21, 22, 26].
Die Nutzung von IT-Systemen zur Förderung von Aktivitäten von Senioren ist ebenfalls ein aktives Forschungsfeld. Um nur ein paar Arbeiten zu nennen: Nazzi & Sokoler [20] verbinden Objekte des Alltags mit digitaler Technologie, um inner- und außerhäusliche soziale Aktivitäten unter Senioren zu fördern. Nawaz et al. [19] stellen fest, dass Exergames für Senioren am besten funktionieren, wenn sie sich leicht auf alltägliche Aktivitäten beziehen lassen. Araullo & Potter [5] beschäftigen sich mit Möglichkeiten, Senioren mit Hilfe von digitaler Technologie zu mehr Bewegung zu animieren.
Weiterhin gibt es bereits vielerlei existierende Beispiele für Gamification-Systeme, welche sich im urbanen Raum abspielen. So findet sich z.B. bei Kazhamiakin et al. [14] ein spielerisches System zur Motivation von Stadtbewohnern zu nachhaltigerer Mobilität, Fischer et al. [9] demonstrieren mit SMSlingshot ein System für spielerisch-interaktives digitales Graffiti, und Salomoni et al. [23] vergleichen mehrere Ansätze für Gamification-basiertes Crowdsourcing von Daten zur Barrierefreiheit des urbanen Raums.
Unseres Wissens nach gibt es noch keine Berichte zu spielerisch gestalteten digitalen Systemen, welche außerhäusliche Aktivitäten speziell für Senioren aufbereiten und motivieren.
Der Gestaltungsansatz hinter unserem System basiert auf dem Konzept der „Quest“, welches im Bereich der Computerspiele (insbesondere Multiplayer-Online-Spiele) verbreitet ist. Staffan Björk [6] definiert Quests als „Ziele innerhalb von Spielen, deren Erreichung mit einer Belohnung verbunden ist“1, und führt genauer aus wie folgt:
While players need to complete many goals in a game, not all are clearly described with how they should be completed nor what rewards they will give. Quests on the other hand are goals where both finishing requirements and rewards are well-known in advance. [6]
Diese Definition nennt die wichtigsten strukturellen Bestandteile von Quests, lässt hierbei allerdings offen, wie die Erfüllungsbedingungen und die Belohnungen spezifiziert oder strukturiert werden sollten. Eine in dieser Hinsicht hilfreiche Ergänzung beziehen wir von Aarseth [1], der in seiner Definition von „quest games“ Folgendes über die Zielsetzungen aussagt:
a game with a concrete and attainable goal, which supersedes performance or the accumulation of points. Such goals can be nested (hierarchic), concurrent, or serial, or a combination of the above. [1]
Diese Idee der verschachtelten oder in Reihe gestellten Unterziele greifen wir in unserer Systemgestaltung auf.
Eine ausführlichere Diskussion möglicher Definitionen für den Begriff „Quest“ sowie eine Analyse von Quests als Teilsystem innerhalb einer größeren (Spiel-)Welt finden sich bei Karlsen [13]. Für unsere Ziele genügen jedoch die oben angeführten Definitionen als Basisverständnis.
1: Zur Vereinfachung des Leseflusses wurde das Zitat ins Deutsche übersetzt. Die englische Originalfassung findet sich in der Quelle.
3. Anforderungsanalyse
Die Zielsetzung und Anforderungsanalyse dieses Vorhabens stützt sich neben der Literaturbasis vor allem auf eine umfangreiche Befragung von Senioren, welche im Rahmen von UrbanLife+ stattgefunden hat. Hierbei wurden in zwei ausgewählten Stadtteilen von Mönchengladbach alle Personen im Alter von 65 oder höher angeschrieben (insgesamt 6170 Fragebögen wurden versandt). Es wurden 1302 verwertbare Fragebögen ausgewertet, die Rücklaufquote lag bei 21.5%. An dieser Stelle beziehen wir uns nur auf die unmittelbar relevanten Teilergebnisse der Befragung, eine detailliertere Beschreibung der Studie und Begründung des Vorgehens ist bei Leukel et al. [17] zu finden. Eine allgemeine Zusammenfassung der Ergebnisse ist auf der Projektwebseite2 einsehbar.
17% der Befragten nutzen für außerhäusliche Aktivitäten zumindest gelegentlich einen Gehstock als Hilfsmittel. Rollatoren sind mit 13% der Befragten ebenfalls recht verbreitet. Unser System muss diesen alltäglichen Hilfsmitteln Rechnung tragen und kann nicht davon ausgehen, dass alle Nutzer aus eigener Kraft Treppen steigen oder gefährliche Bodenbeläge meistern können.
Das Befragungsergebnis erlaubt eine differenzierte Betrachtung subjektiver Barrieren. Unter den am häufigsten bestätigten Gründen, die die Senioren davon abhalten sich außerhalb ihrer Wohnung zu bewegen, werden „Angst vor Übergriffen/Gewalt“, „Fehlende öffentliche WCs“ und „Gefährliche Gehwege“ genannt, welche jeweils ca. 40% der Senioren zumindest mittelmäßig oft an außerhäuslichen Aktivitäten hindern. „Schlechte Wegbeleuchtung“ und „Fehlende Ausruhmöglichkeiten“ werden von 30% der Befragten als mittelmäßig oder häufiger auftretende Barriere empfunden, für „Gefährlicher Straßenverkehr“, „Zu große Entfernung“ und „Fehlende Infos über Angebote“ sind es noch über 20%.
Die Ergebnisse stellen damit die Unterstützung bei der Routenwahl klar in den Vordergrund. Ein Assistenzsystem, welches Zugriff auf detaillierte Daten zu den Eigenschaften des urbanen Raums hat – Beschaffenheit von Wegen, Steigungen, Beleuchtung, verfügbare öffentliche WCs usw. – und diese mit den persönlichen Anforderungen der Nutzer verbinden kann, würde einen großen Beitrag zur Steigerung der subjektiven Sicherheit der Nutzer liefern und damit potenziell Hindernisse abbauen, welche die Senioren derzeit von außerhäuslichen Aktivitäten abhalten. Tatsächlich ist eine solche Navigationsunterstützung ein geplanter Teil des Gesamtsystems von UrbanLife+. Dennoch drängt sich die Erkenntnis auf, dass diese Unterstützung nicht erst beim Antritt des Weges hilfreich ist, sondern bereits bei der Auswahl der außerhäuslichen Aktivitäten. Mit anderen Worten: Senioren sollten idealerweise nur solche Aktivitäten vorgeschlagen bekommen, welche für sie auch tatsächlich erreich- und durchführbar sind.
In der Befragung gaben 18% der Senioren an, mehrmals im Monat digitale Spiele zu spielen. Der Fragebogen hat diese Untergruppe nicht weiter nach Spielgenres unterteilt, aber in Anbetracht der geringen Prozentzahl müssen wir bei unserer Systemgestaltung davon ausgehen, dass die potenziellen Nutzer mit den typischen Abläufen von Multiplayer-Online-Spielen nicht vertraut sind und mit dem Begriff der Quests vermutlich nichts anfangen können. Die in der Spieleszene übliche ikonische Gestaltung von Quests als Ausrufezeichen in Leuchtfarben (siehe Abbildung 1) ist insofern zwar prinzipiell auch für unser System verwendbar, es ist jedoch nicht damit zu rechnen, dass diese von einer Mehrheit der Nutzergruppe auf Anhieb als Symbol für Quests interpretiert werden.

Wir setzen uns für das Questsystem die folgenden übergreifenden Ziele:
- Verbesserung des Gewahrseins bzgl. Angeboten: Die Teilhabe der Senioren an ihrem städtischen Umfeld soll nicht daran scheitern, dass die Information zur Verfügbarkeit von Angeboten sie nicht erreicht. Hiermit meinen wir nicht nur kommerzielle Angebote, sondern auch kulturelle und soziale Gelegenheiten zur Teilhabe, z.B. Vereine, Kaffeekränze oder Gesprächsrunden. Solche Angebote sollen entsprechend ihrer lokalen Relevanz dargestellt werden, die Ermutigung zur Teilhabe ist das Ziel.
- Reduktion der Angst vor unbekannten Wegen: Wir möchten dazu beitragen, dass Senioren öfter die Möglichkeit ergreifen, ihnen bisher noch unbekannte Wege und Örtlichkeiten in ihrem urbanen Umfeld zu nutzen. Hierzu ist eine verlässliche Unterstützung nicht nur bei der Navigation, sondern auch beim Finden ausreichender Ruhemöglichkeiten, Toiletten usw. erforderlich.
- Förderung von Gewohnheiten durch externe Anreize: Durch die Quests soll Senioren die Entscheidung erleichtert werden, an außerhäuslichen Aktivitäten teilzunehmen, auch wenn diese für sie ggf. neu sind. In diesem Sinne soll die Abwägung der Pro- und Contra-Argumente durch spezifische Anreize, wie z.B. Sachpreise, positiv beeinflusst werden. Wenn die Erfahrung für die Person positiv verläuft – etwa durch interessante Erlebnisse oder neue Freundschaften, oder auch durch positive Erfahrungen mit der persönlichen Navigationsunterstützung – dann kann sich die Eigenmotivation steigern und die Senioren können ihre außerhäuslichen Aktivitäten aus eigenem Interesse fortführen, ohne dass unsere Anreize dauerhaft erforderlich sind.
- Wahrung der Würde und Autonomie: Wie bei jedem System, welches das Verhalten seiner Nutzer langfristig beeinflussen soll, stellen sich ethische Rahmenfragen. Einerseits soll unser Quest-System die Nutzergruppe zu bestimmten Verhaltensweisen hinleiten: Wir haben eine Annahme darüber, dass eine bestimmte Klasse von Verhaltensweisen sich insgesamt positiv für die Lebensqualität der Senioren auswirken würde, und möchten unsere Nutzer zu diesen Verhaltensweisen motivieren. Andererseits haben wir hohen Respekt vor der Kompetenz der Nutzer, ihr Leben selbstbestimmt zu führen und informierte Entscheidungen über ihre Ziele und ihr Verhalten zu treffen. Um diesen Grundsatz bei der Systemgestaltung zu wahren, setzen wir uns zwei Regeln: 1. Wir möchten keine Zwänge ausüben, sondern Möglichkeiten aufzeigen und zu eigenständigen Entscheidungen animieren. 2. Wir verzichten auf unterschwellige und manipulative Dialogführung, unsere Kommunikation ist offen und wahrheitstreu.
Basierend auf diesen Zielen beschreibt der folgende Abschnitt die grundsätzliche Struktur und Gestaltung des Quest-Systems.
2: https://www.urbanlifeplus.de/2017/09/ergebnisse-der-buergerbefragung-jetzt-online/
4. Entwurf
Durch die Platzierung unseres Vorhabens im Gesamtprojekt UrbanLife+ sind verschiedene infrastrukturelle Elemente bereits vorhanden oder geplant, welche von uns genutzt werden können. Dazu zählen:
- Eine Reihe von vernetzten smarten städtebaulichen Objekten verschiedener Art [3, 4, 8, 11, 15, 16, 25]
- Eine Backend-Plattform mit datenschutzkonformen Diensten für Benutzerprofile, Geodaten zur konkreten städtebaulichen Situation im Umfeld (inkl. Wegebeschaffenheit, Beleuchtung und andere Kriterien der Barrierefreiheit) sowie zu Angeboten in der Umgebung
- Eine passive Identifikationslösung, die es den smarten städtebaulichen Objekten ermöglicht, angemeldete Nutzer in der unmittelbaren Umgebung zu erkennen und mit ihrem Profildatensatz in Verbindung zu bringen
- Bestehende Kooperationen mit lokalen Akteuren wie dem Einzelhandelsverband, Projektpartner die in den Modell-Stadtteilen gut vernetzt sind und Kooperationen mit öffentlichen und privaten Institutionen anstoßen können
An dieser Stelle möchten wir zunächst kurz begründen, weshalb unser System sich auf Quests als einziges spiele- risches Gestaltungsmittel fokussiert, statt ein komplexeres Regelwerk mit mehr verschiedenen Spielmechaniken umzusetzen, bevor wir die Planung zum Entwurf der Quests beschreiben und danach die zwei fundamentalen Bestandteile der Interaktion mit dem Quest-System, die Quest-Auswahl und Absolvierung, erörtern.
Wie bereits im vorigen Abschnitt beschrieben, gehen wir in unserer Zielgruppe von einer geringen Affinität für und wenig Erfahrung mit digitalen Spielen aus. Deshalb halten wir es für sinnvoll, die Spielmechaniken in Anzahl und Komplexität so simpel und erklärbar wie möglich zu halten. Weitere Gamification-Elemente wie Punktesysteme oder Bestenlisten würden das System komplexer und für die Nutzer schwieriger zu durchschauen machen. Ebenso würde jede weitere Spielmechanik die Evaluation erschweren: Die Fokussierung auf Quests erlaubt eine experimentelle Untersuchung der Wirksamkeit dieser auf die Motivation und Aktivitätsbereitschaft der Senioren. Ein komplexeres Gamification-System würde allenfalls erlauben, Rückschlüsse auf die Wirksamkeit von Gamification im Allgemeinen zu treffen, bzw. für detailliertere Erkenntnisse müssten die Effekte der einzelnen Spielmechaniken in den Evaluationsergebnissen voneinander getrennt werden, was einen beträchtlichen Mehraufwand bedeuten würde.
Quests wurden als spielerisches Gestaltungsmittel für dieses Projekt ausgewählt, weil wir uns eine gute Passung zwischen der Zielgruppe und der Idee der in sich geschlossenen Herausforderungen mit klar definierten Regeln und Belohnungen erhoffen. Dies beruht auf der anekdotischen Beobachtung, dass es in der Zielgruppe einen Hang zur Sparsamkeit geben könnte, welcher sich möglicherweise auch in der Bereitschaft zur Annahme von Systemen wie Treuepunkten, „Payback“ oder unserem Quest-System auswirkt, sobald kostenlose Produkte oder ähnliche Belohnungen im Raum stehen. Ferguson und Hlavinka [7] stellen zwar fest, dass Senioren gegenüber „loyalty marketing“ eher sogar skeptischer sind als die Gesamtbevölkerung, dass jedoch ihr Interesse an eigenen Vorteilen diese Skepsis überwiegen kann:
Finally, seniors are less intimidated by electronic channels than we might think; their overriding demand is that you answer, as quickly as possible, the question “What’s in it for me?”. [7]
Hieraus ergibt sich auch unser Fokus auf materielle Belohnungen. Wir halten diese für vielversprechender zur Förderung der Motivation der Nutzer im Vergleich zu immateriellen, Gamification-internen Belohnungen wie Punkten, Ranglisten oder virtuellen Abzeichen. Ohnehin ist die Existenz solcher spielerischen Belohnungen und der dafür benötigten Spielmechaniken in unserem System aus den oben beschriebenen Gründen zur Komplexität überhaupt nicht vorgesehen.
Entwurf
Bei Björk [6] findet sich die folgende Liste üblicher Quest-Ziele, im Original ohne Anspruch auf Vollständigkeit: „Capture, Collection, Delivery, Eliminate, Evade, Exploration, Gain Competence, Gain Information, Gain Ownership, Herd, Race, Rescue, Stealth, Survive, and Traverse“ [6] Hinsichtlich unserer Zielgruppe und mit Blick auf den Kontext halten wir hiervon Collection, Exploration und Traverse für besonders vielversprechend für unsere Quests; Delivery, Gain Competence und Gain Information sind potenziell etwas interessanter als der Rest, wenn auch schwieriger umzusetzen.
Quests der Art „Kennenlernen eines Ortes/eines Angebotes“ sind die am einfachsten zu entwerfende Kategorie, ihre Zahl ist lediglich durch die vorhandenen Angebote im Umfeld beschränkt. Ähnliche Angebote ließen sich zu einer übergreifenden Quest kombinieren, in der die Ziele entweder in einer bestimmten oder in einer beliebigen Reihenfolge aufgesucht werden müssen. Quests, für die ein Ort zu einer bestimmten Zeit aufgesucht werden muss, betrachten wir als Unterkategorie dieser.
Quests, welche als Ziel die Inanspruchnahme eines kommerziellen Angebotes haben, müssen in Absprache mit den Angebotsgebern entworfen werden. Ein Fokus auf neue Angebote ist denkbar, ebenso eine Nutzung des Quest-Systems für Loyalitätsprogramme („Treuepunkte“).
Eher sozial orientierte Quests, z.B. eine Teilnahme an einer Brettspielgruppe, ließe sich durch wechselseitige Bestätigung der Anwesenheit erfassen.
Insgesamt lässt sich eine Quest im Sinne dieses Systems modellieren als eine Struktur von Teilzielen (Menge oder Sequenz), wobei jedes Teilziel Erfüllungsbedingungen an Ort, Zeit, oder explizite Bestätigung durch bestimmte Personen stellen kann. Nach Erfüllung aller Teilziele (oder einer Teilmenge einer bestimmten Größe) wird die Belohnung freigeschaltet und die Quest im System als erfüllt markiert. Für jede Quest wird im Entwurf entschieden, ob sie pro Nutzer nur ein mal absolviert werden kann oder nach einer bestimmten Zeit wieder freigeschaltet wird.
Als mögliche Anreize bzw. Belohnungen für Quests kommen z.B. Sachpreise, Gutscheine, Rabatte und ähnliche Vorteile in Betracht. Belohnungen im Sinne des Quest-Systems sollen motivierend wirken und einen zusätzlichen Anreiz zur Durchführung außerhäuslicher Aktivitäten bieten, daher sollte die Belohnung idealerweise inhaltlich zur Quest passen und ggf. auch zukünftige Aktivitäten erleichtern.
Davon ausgehend, dass der wesentliche Teil der Zielgruppe mit dem Begriff Quest wenig anfangen kann, stellt sich auch die Frage, ob der Begriff in der Nutzungsschnittstelle überhaupt auftauchen sollte. Es gibt keine einheitliche deutsche Übersetzung die den Autoren bekannt wäre, daher ist das Wort „Herausforderung“ als geeignetste Umschreibung in der Planung vorgesehen.
Auswahl
Eines der übergreifenden Ziele von UrbanLife+ ist, direkte Interaktion möglichst mit den smarten urbanen Objekten zu erlauben und den Einsatz von persönlichen Geräten auf das nötige Minimum zu beschränken. Unter den Objekten in UrbanLife+ sind die großen Informationsstrahler [15] am besten geeignet, die nötigen grafischen und textuellen Informationen anzuzeigen. Bei den Geräten handelt es sich um interaktive Wandbildschirme. Dort können Quests in das bestehende Informationsangebot eingebettet angezeigt werden.
Angemeldete Nutzer hätten dann die Möglichkeit, eine oder mehrere Quests anzunehmen. An dieser Stelle sollte das System die Möglichkeit zur Differenzierung erlauben, ob eine Quest sofort gestartet oder für einen späteren Zeitpunkt vorgemerkt werden soll. Weiterhin sollte die Schnittstelle eine Möglichkeit anbieten, zuvor angenommene Quests abzubrechen.
Zur Förderung des sozialen Miteinanders könnte es sinnvoll sein, anzuzeigen, welche Personen eine bestimmte Quest noch geplant haben, um eine Vernetzung zwecks gemeinsamer Unternehmungen zu ermöglichen. In diesem Fall sollte es jedem Nutzer möglich sein, sich für oder gegen das „ge- funden werden können“ zu entscheiden.
Absolvierung
Die Infrastruktur im Gesamtprojekt erlaubt die Identifikation von registrierten Nutzern in der Nähe von smarten urbanen Objekten. Am einfachsten sind daher die Kontrollen für Quests umzusetzen, welche lediglich eine Reise zu einem bestimmten ort (ggf. zu einer bestimmten Zeit) erfordern, z.B. solche der Art „Erkunde den Stadtpark XY“ oder „Besuche die Theatervorstellung des Kunstvereins am Samstag“. Diese können automatisiert bestätigt werden.
Bedingt durch die Zielsetzung, außerhäusliche Aktivitäten von Senioren zu fördern, ist die Navigation zum Zielort ein wesentlicher Anteil jeder Quest. Hierbei ist die beste Aktivitätsunterstützung zu gewährleisten, die mit der Infrastruktur von UrbanLife+ umgesetzt werden kann – geeignete Wegführung, Hinweise auf Ruhemöglichkeiten usw. Allerdings wird diese nicht nur für Quests verwendet, sondern auch für jegliche andere außerhäusliche Aktivität, wie Arzttermine oder Einkäufe. Obwohl es zu dem Thema viel zu diskutieren gibt, wird das Thema für diesen Beitrag deshalb weitgehend ausgelassen und zu einer anderen Gelegenheit ausführlicher beschrieben.
Für Quests, die eine oder mehrere Transaktionen beinhalten, z.B. „Probiere den Kaffee in drei verschiedenen Cafés in der Nachbarschaft“, ist eine darüber hinaus gehende Kontrolle benötigt. Dafür wäre es denkbar, dass das Personal des jeweiligen Angebots dies auf eine beliebige reibungsarme Weise dem System bestätigt (Scannen eines QR-Codes, Auswahl und Bestätigung der Person auf eigener Hardware, oder für Tests sogar Eintrag auf einer Papierliste mit Weitergabe an das Projekt).
Belohnungen werden je nach Art entweder direkt vor Ort von der Institution ausgegeben („Teste den Kaffee in drei lokalen Cafés, beim dritten ist ein Stück Kuchen kostenlos“) oder im Nachhinein vom Projektteam als organisatorische Unterstützung („Besuche alle großen Blumenbeete im Stadtpark, die Belohnung ist ein 5€-Gutschein für den Blumenladen“).
Im Rahmen der Projektdurchführung ist eine langfristige Feldstudie ohne direkte Aufsicht vermutlich unrealistisch, daher ist die Gefahr des Schummelns durch die Nutzer zum Erschleichen von Belohnungen nur nachrangig berücksichtigt. In einer praxisreifen Umsetzung müsste sichergestellt werden, dass die Nutzer auch langfristig keine Möglichkeit haben, sich Belohnungen zu erschleichen. Dies wird spätestens dann relevant, wenn finanzielle Gegenwerte im Spiel sind – man stelle sich einen Café-Mitarbeiter vor, der gegen 50% der Belohnung Dutzende Nutzer fälschlicherweise ohne deren Anwesenheit bestätigt. Solche Szenarien müssen für langfristige Praxiseinsätze mit berücksichtigt werden. Für unsere Evaluationen gehen wir jedoch davon aus, dass alle Teilnehmer sich grundsätzlich kooperativ verhalten und keine Anstrengungen unternehmen, die Regeln zu brechen.
5. Evaluationsplanung
Zur Evaluation unseres Quest-Systems gibt es eine Reihe von interessanten Forschungsfragen:
- Können Quests so gestaltet werden, dass sie auch für Senioren ohne Online-Spiele-Erfahrung intuitiv verständlich sind?
- Können Quests so gestaltet werden, dass sie im urbanen Raum über vernetzte smarte städtebauliche Objekte angenommen, durchgeführt und absolviert werden können?
- Sind Belohnungen von materiellem Wert (Rabatte, kostenlose Produkte, ...) geeignet, Senioren zur Annahme und Absolvierung von Quests zu motivieren?
- Sind Quests ein geeignetes Werkzeug, die Informiertheit von Personen über ihre urbane Umgebung zu steigern?
- Sind Quests ein geeignetes Werkzeug, Personen zur Annahme von (sozialen, kulturellen, kommerziellen, ...) Angeboten in ihrer urbanen Umgebung zu motivieren?
Die Fragen (1) und (2) sind grundsätzliche Gestaltungsfragen, die durch Usability-Studien ohne Langzeitkomponente beantwortet werden können, sobald das System testbereit ist. Fragen (3) bis (5) drehen sich um die langfristige Interaktion zwischen Quest-System und Zielgruppe – bei Frage (3) geht es um die Motivation der Nutzer, das System überhaupt anzunehmen, und Fragen (4) und (5) befassen sich mit der Wirkung auf das zukünftige Verhalten der Nutzer. Entsprechend erfordern sie andere Evaluationsmethoden.
Zum aktuellen Zeitpunkt sind ein Wandbildschirm-Infostrahler im Foyer eines Altenheims, sowie eine Reihe von individuell ansteuerbaren adaptiven Leuchten in dessen Garten, die einzigen bereits dauerhaft installierten smarten urbanen Objekte. Zur Zielvorstellung im Gesamtprojekt gehört ein Demonstratorenweg, in dessen Rahmen eine Strecke von einigen hundert Metern von jenem Altenheim zu einem nahe gelegenen Museum mit smarten urbanen Objekten ausgestattet werden soll. Derzeit gehen wir davon aus, dass die Objekte in öffentlichen Bereichen nicht witterungs- und diebstahlsicher angebracht werden können, und dass Evaluationen bis zum Projektende deshalb nur über kurze Zeiträume und nur unter Aufsicht möglich sein werden.
Wir möchten bis Ende des Kalenderjahres die Entwicklung der Nutzungsschnittstelle abschließen und mit Senioren im realen Umfeld testen, um die Fragen (1) und (2) zu beantworten. Laut Projektplanung sind die dafür benötigten technischen Komponenten (Identifikationslösung usw.) in naher Zukunft nutzbar, so dass dies machbar sein sollte. Methodisch ist eine Überprüfung der User Experience im Spätsommer 2019 geplant, vermutlich als begleiteter Durchlauf eines Beispielszenarios mit einer Quest, welche angenommen und absolviert werden soll. Es ist geplant, dafür die Methode Rapid Iterative Testing and Evaluation nach Medlock [18] zu verwenden. Durch Anwendung von RITE in einer Evaluation mit mehreren Nutzern wird die Vergleichbarkeit der Ergebnisse aufgegeben, da Ergebnisse aus vorherigen Testdurchläufen sofort in das System eingearbeitet werden. Im Gegenzug ist die Methode geeignet, Lösungen für aufgetretene Probleme innerhalb einer Evaluation zu überprüfen und schnellere Fortschritte in der Implementation zu erzielen.
Im Jahr 2020 wird es sinnvoll sein, vor allem die Zeit des guten Wetters im Frühjahr und Sommer für möglichst flächendeckende Tests zu nutzen. Bis dahin wird sich aus dem Kontext des Gesamtprojekts heraus ergeben, ob und wie ein „Dauerbetrieb“ (für einen eng begrenzten Zeitraum, ggf. nur tagsüber und mit Einsatz von viel Personal) des UrbanLife+-Netzwerks zu Testzwecken realisiert wird. Unser Anspruch ist, möglichst viele reale Nutzerdaten von Senioren zu sammeln und auszuwerten, um Rückschlüsse zur Annahme der Angebote machen zu können. Eine messbare Steigerung der Präsenz von Senioren bei außerhäuslichen Angeboten wäre ein optimales Ergebnis, allerdings wäre jegliche Nutzung des Systems durch registrierte Nutzer aus Eigenmotivation heraus bereits ein Erfolg um die Fragen (3) und (5) im Ansatz beantworten zu können. Für Frage (4) dürften Selbstauskünfte das Mittel der Wahl sein – eine Befragung der Zielgruppe zum Projektende könnte Aufschluss darüber geben, ob die Nutzung des Systems mit einer subjektiv gesteigerten Informiertheit über lokale Angebote einher geht.
Die Evaluationsplanung für das Quest-System kann nicht isoliert erfolgen, sondern findet im Zusammenspiel mit dem Gesamtprojekt und dessen restlichen Implementationen und Evaluationen statt. So werden mit hoher Wahrscheinlichkeit Evaluationstermine für Feldtests in Kombination mit anderen Teilsystemen durchgeführt werden.
6. Ausblick
Wie bereits im vorigen Abschnitt dargelegt, ist für das letzte Jahr des UrbanLife+-Projekts eine vollständige Implementation und Evaluation des Quest-Systems im Feld geplant. Der nächste Schritt hierfür ist die oben beschriebene Validierung der Nutzer-Interaktion und der Verständlichkeit des Systems. Hierzu und zu den restlichen genannten Forschungsfragen werden zukünftige Berichte folgen.
Acknowledgments
Das Projekt UrbanLife+ wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) vom 1.11.2015 bis zum 31.10.2020 unter dem Förderkennzeichen 16SV7443 gefördert. Wir danken allen Projektpartnern für ihr Engagement.